Samstag, 25. November 2006

Philip K. Dick: UBIK

: Angeblich einer der besten Romane von Philip K. Dick. Auf jeden Fall einer derjenigen, in denen es ihm am besten gelingt, den Realitätsbegriff zu zerlöchern. Die Menschen in diesem Roman sind sich an einem bestimmten Punkt nicht mehr sicher, ob sie überhaupt noch am Leben sind. Wir sind in der Zukunft, und zwar im Jahr 1992. Wenn man bedenkt, dass diese Rezension Ende 2006 verfasst wird, dann wirkt schon diese Jahreszahl bizarr, denn Dicks Zukunft hat nichts mit unserer Realität zu tun.

Es gibt Paronormale (Telekinetiker, Telepathen) und sogenannte Inerte, die die Fähigkeiten der Paranormalen wieder aufheben. Glen Runciter besitzt eine Firma, die unerwünschte paranormaler Ein- und Angriffe durch sein Team aus Inerten bekämpft. Joe Chip, die Hauptfigur ist einer seiner Angestellen. Der Roman enthält eine Fülle unglaublicher Ideen, wie die Realität aus den Fugen geraten kann: Die Zeit scheint rückwärts zu laufen, Menschen verfallen innerhalb von Minuten zu Staub, Geldscheine sind plötzlich nicht mehr gültig, weil sie aus einer ganz anderen Epoche stammen oder plötzlich mit einem Bild von Glen Runciter bedruckt sind.

Aber vor allem hat man in dieser Welt die Verleugnung des Todes auf die Spitze getrieben. Tote werden nicht begraben, sondern in Kaltpackung gelegt. In diesem konservierten Zustand werden die Leichen in sogenannten Moratorien aufbewahrt. Eine geringe Menge an Restvitalität kann auf diese Weise in ihnen konserviert werden, und man kann sie für wenige Stunden über ein Kommunikationssystem wieder aufwecken und per Lautsprecher und Mikrophon mit ihnen kommunizieren. Mit jedem Aufwecken wird die Restenergie des Verstorbenen geringer, man darf deshalb den Kontakt nur selten herstellen, wenn man sich das "Halbleben" möglichst lange erhalten möchte.

Die Verleugnung des Todes, und damit der Nicht-Existenz ist das zentrale Thema dieses Romans. Joe Chip reagiert merkwürdig gelassen, als er zu ahnen beginnt, dass sein Tod vielleicht schon eingetreten ist. Der ganze Roman erzählt kontinuierliche seine Geschichte, und es gibt keinen Bruch an der Nahtstelle zwischen Leben und Tod. Es gibt einfach überhaupt kein Sterben: Leben und Halbleben gehen fließend ineinander über, und das wird über eine brillante Erzähltechnik fühlbar gemacht.

Wessen Körper nicht mehr lebensfähig ist, der kommt in Kaltpackung. Es scheint fast bedeutungslos zu sein, in welchem der beiden Zustände man sich befindet. Der Zustand des Halblebens aber hat die ärgerliche Eigenschaft, dass die Wirklichkeit zu zerfallen beginnt. Joe Chip kämpft dagegen an. Alle andere auch. Und um diesen Kampf geht es, um die skurrilen Versuche der Figuren, sich um jeden Preis gegen das Nichtsein zu wehren. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass man sich einen Traum schaffen muss. Wer nicht mehr leben kann, träumt, um weiterleben zu können. Erst wenn die Kraft zum träumen verloren geht, erst dann fühlt man die Kälte der kryonischen Sarges, in dem man liegt. Und erst, wer gar nicht mehr träumt, ist richtig tot.

Das Buch hat schon viele beschäftigt und hat auch bestimmt noch eine lange Rezeptionsgeschichte vor sich. Dick hat einmal gesagt. "Der Gedanke an den Tod macht mich verrückt." Also hat er dem Unvermeidlichen den Kampf angesagt, und damit ein allgemein menschliches Thema aufgegriffen. Genau das ist Kunst in ihren besten Momenten: Ein genialer Versuch, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Dick hat gezeigt, dass es nicht geht. Er ist tot, aber sein Roman wird weiterleben. So ist das nun mal mit guten Büchern.

Man sollte es lesen. Und man sollte nicht denken, dass ich schon alles über seinen Inhalt verraten habe. Es bietet noch viele Überraschungen ...

Mittwoch, 1. November 2006

Philip K. Dick: Eine andere Welt

: Philip K. Dick als Science-Fiction-Autor zu bezeichnen, ist eigentlich eine Falschklassifizierung, obwohl er per Konvention diesem Genre angehört. Eigentlich ist es offensichtlich, dass er seine Gegenwart thematisiert und die Stilmittel des SF-Genres nutzt, um zu verfremden und zu verzerren.

In Eine andere Welt geht es um den Fernsehmoderator Jason Taverner, dessen Realität sich dergestalt verändert, dass niemand mehr ihn kennt. Es gibt keine Aufzeichnungen über ihn, nicht einmal eine Geburtsurkunde, seine Fernsehsendungen sind nie gesendet worden, und seine Freundin kennt ihn nicht.

Die Welt, in der er lebt, ist von staatlicher Kontrolle dominiert. Ohne gültige Ausweispapiere kann man sich nicht einmal auf die Straße trauen. So zieht Taverner los, verschafft sich gefälschte Ausweispapiere und versucht das Rätsel seines Identitätsverlustes zu begegnen und sich selbst wieder zu legalisieren. Dabei ist ihm jedoch bewusst, dass es eigentlich aussichtslos ist: Wer den Pols einmal aufgefallen ist, der hat verloren. Nur Anonymität oder Berühmtheit schützt vor Verfolgung, und beides hat er verloren, denn weil er sich nicht legitimieren kann, hat sich die Polizei schon an seine Fersen geheftet.

Taverner ist das Produkt eines Eugenik-Projekts, ein sogenannter Sechser. Das sind Menschen mit ausgewählten Genen und besonderen körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Er ist sehr von sich selbst überzeugt. Seine Attraktivität für Frauen versucht er gezielt einzusetzen. Im Verlaufe des Romans begegnet er mehreren sehr unterschiedlichen Frauenfiguren. Er hat aus kühler Berechnung Sex mit ihnen oder versucht sie auf andere Weise auszunutzen, um der Geheimpolizei zu entgehen. Dabei lernen wir mehrere unterschiedliche Frauenschicksale kennen.

Auch die Polizei ist kein anonymes Machtinstrument, sondern trägt ein Gesicht. Das ist gerade das Spannende an dem Roman: Es gibt keine klare Trennung zwischen Gut und Böse. In diesem totalitären Staat sind eigentlich alle Opfer. Einer der höchsten Polizeibeamten hat ein inzestuöses Verhältnis mit seiner drogensüchtigen Schwester. Er ist ein Gefangener dieser fatalen Leidenschaft, genau wie Taverner letzlich ein Gefangener seiner Überheblichkeit ist.

Deshalb ist diese Utopie völlig anders als die orwellsche Vision des Totalitarismus. Bei Orwell hat die absolute Macht kein Gesicht, der Große Bruder ist nur ein Bild. Bei Dick dagegen sind die Verfolgten genau wie die Verfolger denselben Gesetzmäßigkeiten ausgeliefert. Die Repräsentanten der Macht sind nicht wirklich mächtig: Über ihre menschlichen Schwächen und ihr egoistisches Streben nach individuellem Glück werden sie denen, die sie unterdrücken, letztlich gleich.

Über allem liegt der Dunst der Nixon-Ära in den beginnenden Siebzigern der USA. Unter der Fuchtel staatlichen Kontrollwahns windet sich die Menschlichkeit, und die Täter sind nur die Opfer aus der zweiten Reihe.