Samstag, 17. Mai 2008

Walter Scott: Ivanhoe

Walter Scott: Ivanhoe Ivanhoe war 1819 das, was man heute einen Bestseller nennen würde. Die Startauflage lag bei 6000, wurde schnell auf 8000 erhöht. Für damalige Verhältnisse war das ein Erfolg. Heute kann man über solche Zahlen nur noch lächeln: Littells SS-Roman ist vor kurzem alleine in Deutschland mit 120 000 Stück gestartet. Beeiundruckender ist die Nachhaltigkeit, mit der dieser Roman zusammen mit den anderen Werken Walter Scotts über fast zwei Jahrhunderte gewirkt hat. Zwar sind die Zeiten, in denen Scott ein moderner und beliebter Autor war, längst vorbei. Aber seine Stoffe sind längst in die Filmgeschichte eingegangen und haben in allen möglichen medialen Ausprägungen Generationen beeinflusst.

Als Neuerscheinung aber hätte eine solches Buch heute keine Chance mehr. Viel zu langatmig sind die Beschreibungen, zu dialoglastig die Szenen, zu gering die Erzählgeschwindigkeit. Scotts Stil ist schon zu seinen Lebzeiten von manchen als trocken empfunden worden. Für den heutigen Leser ist seine von Shakespeare beeinflusste, geradezu theatralische und überladene Erzählweise nur noch altmodische Ausdrucksform einer vergangenen Epoche, der wir uns schon lange nicht mehr zugehörig fühlen.

Ivanhoe ist also ein Klassiker, der Staub angesetzt hat. Wer sich dennoch die Lektüre zumutet, muss einen doppelten Zeitsprung machen: Erst ins angehende neunzehnten Jahrhundert (den Entstehungszeitraum des Buches), und dann noch einmal mehr als sechshundert Jahre bis ins Jahr 1194, wo die Handlung spielt. Dort findet der Leser dann genau das vor, was heute der klassischen Klischeevorstellung des Mittelalters entspricht: Schöne Prinzessinnen, Ritterturniere, Burgen und Burgerstürmungen. Ein Ritter-Roman reinsten Wassers, und keineswegs der erste seiner Sorte. Ritter-Romane waren auch damals nichts Neues, sondern hatten eine lange Tradition. Schon der Don Cervantes' Quichotte (veröffentlicht 1605 bis 1615) ist eine Parodie auf diese Gattung.

Für mich war die Lektüre ein Versuch, mich dem heute wieder so überaus erfolgreichen Genre des historischen Romans zu nähern. Walter Scott gilt als einer der Stammväter dieser literarischen Gattung. Was fasziniert viele Leser am Glanz vergangener Epochen?

Meine Vermutung ist, dass es hier um die Faszination geht, die darin liegt, Vergangenes wiederaufleben zu lassen, sinnlich fassbar zu machen. Gute historische Romane zeichnen sich deshalb durch geschichtliche Genauigkeit und Detailliebe aus. Der Erzählstil ist plastischen und zielt auf Realismus ab. Der Leser soll das Gefühl bekommen, das er auf eine Zeitreise mitgenommen wird. Er soll und will sich in das vermeintliche Lebensgefühl einer noch nicht von Technik und Industrialisierung entfremdeten geschichtlichen Periode zurückversetzen. Die dargebotenen Schicksale sind unmittelbarer, die Gefühle einfacher und direkter. Der problematische Hintergrund einer nur teilweise verstandenen, sich ständig verändernden Gegenwart wird durch die klarere, harmlosere Objektivität eines historischen Kulisse ersetzt.

Scott verfügte über die historischen Kenntnisse, um auf diesem Gebiet wegweisend zu sein. Sein Ivanhoe ist, obwohl mühsam zu lesen, ein schillerndes, lebendiges Werk von sprachlicher Kraft. Die Geschichte der englischen Sprache war Scotts Steckenpferd, und er ist deshalb in der Lage, seine Figuren englische Vokabeln benutzen, die dem zwölften Jahrhundert entsprechen und schon für die Leser seiner Zeit teilweise unbekannt waren. Für einen deutschen Leser ist deshalb die Lektüre im Original eine Herausforderung.

Der Roman ist kein Schwarz-Weiß-Gemälde. Gut und Böse sind nicht so klar getrennt, wie es zunächst scheint. Zwei schöne Frauen werden umworben, eine Jüdin und eine sächsische Adlige. Diese Handlung ist in eine Epoche gelegt, in dem der Konflikt zwischen Sachsen und Normannen in England zugunsten der Normannen entschieden war und sich eine Vermischung beider Völker andeutete. Auch auf der sprachlichen Ebene entwickelt sich aus dem sächsischen und normannischen das moderne Englische, worauf Scott explizit eingeht.

Ein hochrangiger Angehöriger des Templerordens hat es auf die schöne Tochter eines jüdischen Kaufmanns abgesehen. Gleichzeitig ist ein normannischer Ritter in eine sächsische Schönheit vernarrt. Die Damen werden entführt und in einer Burg gefangen gehalten. Es kommt zum Kampf, das Gute siegt. Die Schar der Retter wird verstärkt durch durch einen gewissen Robin von Locksley und sein vogelfreien Freunde. Den kennen wir heute besser als Robin Hood und wissen spätestens jetzt, das wir in der Jugendliteratur angekommen sind.

Bemerkenswert ist, dass gerade die Anziehungskraft zwischen Angehörigen unterschiedlicher Volksstämme die Handlung vorantreibt. Der Titelheld Ivanhoe spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Er bleibt eine blasse Figur, der schöne Held ohne Ecken und Kanten. Als ob Scott geahnt oder gewusst hätte, dass diese Figur den Roman nicht tragen würde, schickt er sie schon zu Beginn aufs Krankenbett: Ivanhoe wird auf einem Ritterturnier verletzt und erlebt von da an das Meiste nur noch vom Krankenbett. Er ist also nicht die wirkliche Hauptfigur, wie es der Titel verspricht. Handlungsträger ist vielmehr ein Dreigespann, bestehend aus dem schon erwähnten Templer und zwei Rittern. An diesen Figuren demonstriert Scott, wie die vielgepriesene Macht der Liebe versucht, die Grenzen zwischen den Bevölkerungsgruppen zu überwinden versucht. Das kann nicht gelingen. Aber wenn man diese Geschichte mit den Augen der Moderne liest, dann werden die Halunken zu Menschen, die an den Einschränkungen einer Standesgesellschaft scheitern. Ihre Handeln ist menschlich, ihr Scheitern tragisch und eine schöne Parabel auf die Problematik der Völkerverständigung.

Schade nur, dass das Judentum unbedingt durch die Person eines geldgierigen Kaufmanns dargestellt werden muss. Im heutigen Deutschland würde der Ivanhoe-Autor als Antisemit gelten.

Scotts Roman hat trotz seiner Langatmigkeit und Dialoglastikeit überlebt. Das liegt an den Stärken des Werks, die auch heute noch wirken, obwohl Scotts Sprachduktus längst zum alten Eisen gehört: Lebendige Schilderung des romantischen Mittelalters, eine bewundernswerte historische Sachkenntnis, Stoffe und Figuren, die für unzählige Spielfilme gut waren.

Mittwoch, 14. Mai 2008

Wer oder was ist Emacs?

Auch in der Software-Branche gibt es Oldtimer. Das sind Programme, die schon so alt sind, dass man sie eigentlich im modernen Straßenverkehr nicht mehr einsetzen kann. Solche Programme werden von Liebhabern gehegt und gepflegt, genau wie in so mancher Garage ein altes Auto den Glanz der Fünfziger wieder aufstrahlen lässt. Und solcherlei Liebhaber setzen diese Programme auch heute noch ein, und haben einen Riesenspaß dabei.

Ich selbst gehöre dazu und verfasse diesen Artikel eben mit einem jener Oldtimer: Emacs. Emacs ist ein ganz besonderer Oldtimer ...

Ein wesentlicher Unterschied besteht aber zu alten Autos. Programme rosten nicht. Sie fahren auch nicht langsamer als ihre neueren Genossen, eher schneller als früher. So mancher Oldtimer legt auf neuen Rechner eine Performance hin, von der er früher nur träumen konnte. Alte Programme finden neues Leben und können ihre Qualitäten erst richtig entfalten. Der Emacs hat immer noch seine Fangemeinde.