
Die Blechtrommelvon Günter Grass.
Fast möchte man es ein Jugendwerk nennen, besäße es nicht schon in vollem Umfang jene Abgeklärtheit, Strenge und Distanziertheit, die Johnsons Prosa überhaupt auszeichnet.
Eine sehr erhellende Zusammenfassung findet man auf der Seite von Dieter Wunderlich. Das Buch erschließt sich äußerst schwer. Es gibt ständige Perspektivewechsel, sogar innerhalb derselben Szene. Oft ist nicht klar, wer denn nun gerade spricht und seine Sicht der Dinge auf den DDR-Eisenbahner Jakob Abs schildert. Jakobs Freundin Gesine ist mit zwanzig Jahren in den Westen gegangen und arbeitet dort als Übersetzerin. Im Verlaufe des Romans flüchtet Jakobs Mutter ebenfalls in den Westen, Gesine kommt zu Besuch, und Jakob erstattet einen Gegenbesuch. All dies geschieht unter den Augen der
Staatsmachtin Gestalt des des Herrn Rohlfs von der Spionageabwehr und seiner Kollegen.
Warum ist dies nun ein Roman, der in den Kanon der deutschen Literatur eingegangen ist? Der Autor Johnson war sehr überzeugt davon, dass sich mit Sprache Wahrhaftigkeit ausdrücken lässt. Genau das ist die Stärke auch dieses Romans. Er ist verdichtete, intensivierte DDR-Realität, ein Zeitdokument von großer Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die Charaktere wirken echt und lebendig, und das obwohl die Prosa trocken und ereignisarm daherkommt. Wer verstehen will, wie in der DDR des Jahres 1965 Schicksale einfacher Menschen geprägt wurden durch den Absolutheitsanspruch einer bis tief ins Privatleben vordringenden Ideologie, der liest diesen Roman.
Jakob ist ein unpolitischer Mensch, zuverlässig, arbeitsam, mit einem unkomplizierten, geradlinigen Gemüt ausgestattet. So einer
funktioniertim besten Sinne des Wortes. Er ist ein nützliches Mitglied der Gesellschaft, was versinnbildlicht wird durch seinen Beruf als Eisenbahner. Indem er den Zugverkehr koordiniert, hilft Jakob dabei, einen wichtigen Teil der Infrastruktur des Landes aufrecht zu erhalten. Wenn so einem staatsfeindliche Tendenzen unterstellt werden, dann führt sich die Staatsmacht selbst ad absurdum. Sie untergräbt ihre eigene Basis, indem sie das zerstört, was sie selbst am Leben hält: den Fleiß und die Loyalität des gemeinen Mannes.
Der Geheimdienstmann Rohlfs bekommt in diesem Roman selbst menschliche Züge. Er setzt sich gedanklich und emotional mit den Personen auseinander, die er observiert. Seine politische Argumentation gegenüber seinen Opfern ist differenziert, intelligent und persönlich. Letztlich bleibt er dennoch grausam und unerbittlich.
Einer wie Jakob kann nicht über Grenzen hinweg lieben. Seine Liebe zu
verwestlichtenGesine ist zum Scheitern verurteilt. Das Hin und Her seiner völlig normalen Liebesgeschichte geschieht unter den Augen der Staatsmacht, die ihm kein Geheimnis lassen möchte. Am Ende bleibt sein Tod ungeklärt. Im Sterben entzieht sich Jakob der Überwachung. Mit dem Ableben endet das Wissen über seine Person, es beginnen die Mutmaßungen. Er ist quer über die Gleise gegangen, ein Eigensinniger, der sich nicht mehr an die Spur hielt. So befreit er sich, indem er sich entzieht.
Der Roman setzt der Individualität des Menschen ein Denkmal. Es gibt immer einen Punkt im Leben eines Menschen, der sich nicht ausleuchten, nicht kontrollieren lässt. Dort gibt es dann nur noch die Mutmaßungen, die Mutmaßungen über Jakob.
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